Was wir vom Osten lernen können

Mittwoch, 30. Mai 2018 | Neuigkeiten

Was der ausgereifteste E-Commerce-Markt der Welt uns lehren kann

Seine schiere Größe, Reichweite und Dominanz macht Amazon zu einem naheliegenden Vorbild für jeden westlichen Anbieter, der in den Internethandel einsteigen will. Naheliegend, aber falsch. Amazon verzeichnet beeindruckendes Wachstum und wartet immer wieder mit spannenden Innovationen auf – aber sehr viel mehr Inspiration und Kundenkenntnis finden Händler im Osten, genauer gesagt in China.
Laut Schätzungen von Analysten war der chinesische E-Commerce-Markt Ende letzten Jahres mehr als doppelt so groß wie der US-amerikanische und erzielte Umsätze von 1,1 Bio. USD gegenüber 450 Mrd. USD in den USA[1]. Zum Stand September 2017 hatte Alibaba, Chinas größte E-Commerce-Plattform, eine höhere Marktkapitalisierung als Amazon (obwohl sie diesen Rang zuletzt wieder abtreten musste[2]).

Die Macht des Marktes

Der Erfolg der chinesischen Internethändler beruht auf den cleveren Geschäftsmodellen, die Alibaba und andere Marktakteure wie JD.com und Xiaohongshu entwickelt haben. Statt eigene Produkte anzubieten oder die Distribution zu handhaben, betreibt Alibaba mehrere Plattform-Geschäfte, die Käufer und Verkäufer von Waren zusammenbringen. Plattformen wie diese müssen keine Bestände verwalten und erfordern daher wenig Kapitalvermögen, können aber eine breite Vielfalt an Produktangeboten unterstützen.

Sie brauchen zudem keine versierten Einkäufer, denn die Daten zeigen ihnen, was Kunden wollen: Im Falle der E-Commerce-Plattform Xiaohongshu gaben Nutzer Ratings für Einzelhändler in aller Welt ab, was dann die Entscheidungen darüber leitete, von wem man möglicherweise Produkte beziehen würde. Die Einkaufsmuster von Online-Kunden liefern konstantes Feedback dazu, was sich voraussichtlich gut verkaufen wird – die Plattformen ermitteln ihre Einkaufsprioritäten also praktisch per Crowdsourcing.

Erst online, dann offline

Man sollte jedoch nicht meinen, dass wir nur im Internethandel von Chinas führenden Anbietern lernen können. Rund ein Viertel aller Einzelhandelsumsätze in China entfallen heute auf den E-Commerce[3], aber die Plattformen verfolgen auch ehrgeizige Pläne für den Aufbau realer Ladengeschäfte.

Hier gehen sie mit einer Online-Mentalität an den traditionellen Einzelhandel heran. Beispielsweise hat Alibaba nach seiner Investition in die Supermarktkette Sun-Art eine Bestseller-Promotion in jeder Filiale eingeführt. Alibaba testet dabei den Verkauf populärer Online-Produkte, die normalerweise nicht im Laden erhältlich sind: Was sich gut verkauft, bleibt im Sortiment, alles andere wird rasch wieder aus dem Regal genommen. Dieser experimentelle Handelsansatz mit der Bereitschaft, nicht nur Treffer zu verzeichnen, aber immer wieder neue Angebote vorzustellen, ist ein typisches E-Commerce-Modell, das traditionelle Einzelhändler bisher eher gemieden haben.

Und die Art und Weise, wie Alibaba ganz gezielt Traffic für seine Online-Plattformen generiert, überträgt sich jetzt auch auf Hema, seine eigene Offline-Supermarktkette. Hema versteht, wie viele Wiederholungskäufe erforderlich sind, um einen Käufer zu einem treuen Kunden zu machen, und behält Preissenkungen für wichtige Produkte sehr viel länger bei als traditionelle Supermärkte, um zu mehrfachen Besuchen zu motivieren und die Kundentreue zu stärken.

Das chinesische Unternehmen Tencent liefert ein weiteres Beispiel dafür, was Internethändler auch offline leisten können. Seine Beteiligung an Yonghui Superstores gibt ihm Zugang zu einer Fülle an Daten über die Konsumgewohnheiten von Kunden. In Verbindung mit den Daten seiner eigenen E-Commerce-Plattform und Social-Media-Sites – sein WeChat-Dienst hat eine Milliarde Nutzer – ist dies eine mächtige Ressource. Alle führenden E-Commerce-Akteure in China bemühen sich ganz gezielt, ein ganzheitliches Verständnis des Online- und Offline-Kundenverhaltens zu entwickeln, um ihre Strategien für Direktmarketing und Verkauf zu leiten.

Was wir vom Osten lernen können

Dies soll nicht heißen, dass führende E-Commerce-Akteure im Westen keine Erfolge vorzuweisen hätten. Amazon unternimmt seine eigenen Vorstöße in den realen Einzelhandel – beispielsweise mit innovativen Buchläden und kassenlosen Supermärkten –, bei denen ebenfalls die Erfahrungen aus dem Internethandel umgesetzt werden.

Aber insgesamt ist es der chinesische E-Commerce-Sektor, der angesichts seiner schieren Größe und rasanten Entwicklung ein ideales Vorbild für Einzelhändler liefert, die Wachstumsstrategien online und offline entwickeln möchten. Kurz: Wer sich ein Bild davon verschaffen möchte, wo sein Unternehmen in den nächsten sechs Monaten – und darüber hinaus – stehen sollte, muss nach China schauen

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Dieser Artikel erschien zum ersten Mal auf China Daily am 31. March 2018

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